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Shanties

Shanties sind Volkslieder

Ein echtes Volkslied sollte drei Kriterien erfüllen :

- der Text darf nicht starr und unveränderlich sein. Er kann und darf variiert werden. Er sollte der der realen Welt der Menschen, die es singen, angepaßt werden.

- Das Lied drückt die Gedanken und Gefühle der Menschen aus.

- Es hat einen praktischen Gebrauchswert in einer bestimmten Situation.

Ein Shanty ist ein typisches Arbeitslied,ein Worksong.Entstanden während der Blütezeit der Segelschiffahrt zwischen 1820 und 1860, hat dieser Liedtyp bis zur heutigen Zeit nichts an Faszination verloren.

Der Seeman nahm die Melodien von Land mit auf die Schiffe.Seit Beitrag bestand darin neue Texte je nach Situation zu erfinden.Oft gibt es viele verschiedene Textvarianten zu einer Melodie. Die Lieder erleichterten die verschiedenen Arbeitsvorgänge an Bord. Kaum ein Liedtyp verlor innerhalb eines knappen halben Jahrhunderts so schnell seine eigentliche Bedeutung. Der technische Fortschritt erleichterte die Arbeitsvorgänge auf den Seglern, das Singen zur Arbeit verlor seine ursprüngliche Funktion. Der heutige Shanty-Gesang hat seine eigentliche Bedeutung vollständig verloren.Trotzdem ist die Faszination dieser Lieder ungebrochen.Sie werden auf der ganzen Welt als Worksongs von Chören und Gesangsgruppen aufgeführt.

Wenige Überlieferungen

Wir wissen wenig von den Liedern der Matrosen aus der Zeit vor dem 18.Jahrhundert.Schriftliche Aufzeichnungen fehlen fast völlig.Ein Dominikanischer Mönch berichtet aus dem Jahre 1493 von "Matrosen,die bei der Arbeit singen...Ein Konzert zwischen einem, der Kommandos aussingt, und den Arbeitern, die singend antworten." Eine endlose Kette von Seekriegen während des 17. und 18. Jahrhunderts scheint das Singen zur Arbeit weitgehend verdrängt zu haben.

Blütezeit der Shanties

Die Segelschiffe beherrschten im 19.Jahrjundert die Sieben Weltmeere. Da gab es Schooner, Briggs, Galeassen, Teeklipper, Barken, Vollschiffe und nicht zuletzt die Walfänger, die das Bild der Christlichen Seefahrt prägten.
Zunächst jedoch dominierten die Kriegsschiffe das Bild auf den Meeren. Die Engländer, die Holländer, die Franzosen und nicht zuletzt die Ende des 18.Jahrjunderts neu gegründeten Vereinigten Staaten von Amerika kämpften um die Vorherrschaft auf den Meeren.
Wer kennt nicht die berühmten Hornblower Romane von C.S. Forester oder die spannenden Seeabenteuer von Richard Bolitho, in diesen Erzählungen wird die Zeit der Kriege unter Segeln wieder lebendig.
Für uns von Interesse ist jedoch das Ende der Napoleonischen Kriege. Ab 1818 begann das goldene Zeitalter, begann die große Zeit der Windjammer. Die Auflösung von Beschränkungen im Überseehandel bewirkten, dass jedermann - vorausgesetzt er hat ein Schiff und genügend Frachtraum - Handel auf den Weltmeeren treiben konnte.
In nur knapp hundert Jahren wurden die Segelschiffe revolutionär weiterentwickelt. Sie wurden ständig größer und natürlich immer schneller. Antriebskraft blieb jedoch, wie seit Tausenden von Jahren üblich, zunächst der Wind. Noch waren die von Dampf angetriebenen Schiffe keine ernsthafte Konkurrenz. Der Handel florierte und manches Lied aus jener Zeit verrät uns, in welche fernen Gegenden der Welt die Schiffe fuhren.
Ab 1818 fuhren die Packet Ships, die Paketschiffe, mit regelmäßiger Abfahrt- und Ankunftszeit von Liverpool herüber in die neue Welt, nach New York. Sahen Sie zunächst noch aus wie die üblichen Kauffahrtschiffe jener Zeit, ähnlich einer Tonne mit stumpfen Bug und abgerundeten Seiten, so wurden Sie aber immer mehr den Erfordernissen angepasst : dem schnellen Transport von Waren und Menschen. Es wurde ein neuer Schiffstypentwickelt, der den Bedürfnissen der Zeit entsprach. Unwahrscheinlich schnelle und wendige Schiffe mit immer mehr Segelfläche rauschten über die Meere. Die Zeit der Klipper hatte begonnen.


Deutsche Shanties

"Rolling Home" und der "Hamburger Veermaster" sind ohne Zweifel die Musterbeispiele der deutschen Seemannsfolklore. In fast jedem Schulliederbuch findet man die plattdeutschen Verse und den englischen Refrain. Dieser weist dann auch auf den Ursprung beider Lieder hin.
"Rolling Home" ist in Anlehnung an den gleichnamigen englischen Gangspill Shanty "Rolling Home - all hands to the capstan" von dem deutschen Matrosen Robert Hildebrandt im Jahre 1880 mit einem plattdeutschen Text versehen woden. Der "Hamburger Veermaster" ist die plattdeutsche Version des amerikanischen "Sacramento Songs", der in den fünfziger Jahren des 19.Jahrhunderts stammt.
Der deutsche Beitrag zum Shanty-Gesang beschränkt sich im wesentlichen auf einige zum Teil plattdeutsche Umdichtungen englischsprachiger Lieder. Oft wurde der Refrain oder die Zeile, bei der die Mannschaft das Tau durchholen musste, beibehalten. Ein gutes Beispiel ist das bekannte Arbeitslied der Baumwollpacker, das von den Farbigen in den Hafenstädten am Golf von Mexiko gesungen wurde. Die Chorzeile lautet auf Platt "Oh Köm und Beer for mi" und im Original
"Oh roll the cotton down".

Roll the Cotton down
Vors.: Away down south where I was born
Chor : oh roll the cotton down
Vors.: that´s where the niggers blow their horn,
Chor : oh roll the cotton down !

Von diesem englischen Text wurde die Chorzeile entnommen und in ein allgemein bekanntes deutsches Volkslied aus dem 19.Jahrhundert eingefügt. Der ursprüngliche Text lautet :

Als ich an einem Sommertag,
hurra,hurra,hurra,
im grünen Wald im Schatten lag,
hurra,hurra,hurra.

Daraus entstand ein deutscher, mit der neuen Melodie versehener Shanty :

Vors.: Als ich an einem Sommertag,
Chor : oh roll the cotton down
Vors.: am Waldesrand im Schatten lag,
Chor : oh roll the cotton down

Für Fred Schmidt, dem bekannten Seeschriftsteller und Autor des Buches "Von den Bräuchen der Seeleute", gehörte diese Fassung zu seinen Lieblingsshanties.
Diese Melodie muss bei den Seeleuten sehr beliebt gewesen sein, denn es gibt noch zwei weitere plattdeutsche Fassungen. Eine Version wird dem Hamburger Arbeiterdichter Heinrich Schacht (1817-1863) zugeschrieben. Schacht hat einige für den Seemann brauchbare Lieder verfasst, die gerne zur Arbeit an Bord gesungen wurden. Aus "Roll the cotton down" wurde nun "De Runner von Hamborg"

Vors.: De see geiht hoch, de Wind de blaast,
Chor : oh Kööm un Beer for mi.
Vors.: Jan Maat, de fleit, is ni verbaast,
Chor : oh Kööm un Beer for mi.

Schacht´s Taschenliederbuch "Seemann´s Liedertafel" erschien zuerst 1860 und erlebte bis 1903 zwölf Auflagen.Auf die Melodien von bekannten Liedern seiner Zeit verfasste er 52 hoch- und plattdeutsche Liedtexte.1903 erschien dann die plattdeutschen Lieder separat unter dem Titel "Plattdütsche Schipperleeder". Noch in der ersten Ausgabe des Liederbuches "Knurrhahn", 1934, sind mehrere Lieder von Heinrich Schacht enthalten.
Nach der Melodie des Liedes "In Schönbrunn,sagt er" aus dem Sigspiel "Die Wiener in Berlin" von Carl von Holtei aus dem Jahre 1824 textete Schacht den seinerzeit wohl populärsten aller deutsche Shanties :

Vors.: Juchhei lustig - Chor: seggt he
Vors.: ick bün Kock -  Chor: seggt he
Vors.: dirnk ok gern - Chor: seggt he
Vors.: een Glas Grog - Chor: seggt he

Diese Weise mit ihrem eigentümlichen Rhythmus und ihrem lustigen Text eignete sich hervorragend als Arbeitslied.Verständlich, dass es gewissermaßen als Zunftlied der deutschen Schiffsköche galt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in einem englischsprachigen Buch über maritime Lieder "Laura A.Smith,"Music of the Waters",1888) bereits eine Version dieses deutschen Shanties abgedruckt ist.
Zwei deutsche Shanties ohne englischsprachiges Vorbild wurden von den Fischern an der Nord- und Ostsee gesungen.
"De grot Buer,de Herr vun´t Land" wird von Tegtmeier als einer der wenigen echten deutschen Shanties definiert. Das Lied sangen die Fischer an der Schlei zur Arbeit.
Das zweite Arbeitslied "Hiß em up,huro,jolley" wurde bereits 1838 von Hermann Kestner in der Originalsprache der Helgoländer aufgeschrieben. Die Fischer von Helgoland sangen dieses altfriesische Lied um das Seil aufzuwinden und den Anker zu hieven.

Literarisches über Shanties

Viele ehemalige Fahrensleute haben die Erlebenisse während ihrer Reisen aufgeschrieben. Oft geschah dies nach der Fahrenszeit, und die spektakulären Ereignisse standen oft im Mittelpunkt der Erzählungen. Zwei Schiffsjungen, von denen einer später ein bekannter Dichter werden sollte,
haben um 1900 während ihrer Reisen auf deutschen Segelschiffen Tagebuch geführt und dabei äußerst akribisch den Seemannsalltag an Bord beschrieben.
Franz von Wahlde fuhr von 1884 bis 1886 auf der Elsflether Bark Palllas nach Südamerika, Mauritius, Indien und Java. Über das singen an Bord - bei der Arbeit oder in der Freizeit - erfahren wir bei ihm nur wenig. Fast nebensächlich erwöhnt er, wie bei einer Arbeit ein Shanty angestimmt wurde. Das bekannte "Googbye Fare-ye-well" erklang, als es endlich von Java in Anker auf in Richtung Heimat ging. Sonst ist aus dem Bericht des 17jährigen über den Aspekt des Singens nichts weiter zu erfahren.
Unser zweiter Gewährsmann führte während seiner Reise ebenfalls ein Tagebuch. Hans Bötticher alias Joachim Ringelnatz verdanken wir detailgetreuen Aufzeichnungen einer Segelschiffsreise nach Belize im Jahre 1901. Seine Erlebnisse als Schiffsjunge auf der Bark Elli veröffentlichte er 1911 in seinem autobiografischen Romand "Mein Leben bis zum Kriege".
In diesen Aufzeichnungen finden wir keinerlei Hinweise auf echte Arbeitslieder, jedoch war das Singen sehr ausgeprägt. Während der Freiwache wurden deutsche Volkslieder angestimmt.